Kreatives Tagebuchschreiben
Leseprobe
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Leseprobe Elisabeth Mardorf, Kreativ leben mit dem Tagebuch"

 

Leseprobe 1: Die Faszination des Tagebuchs

 

Zu meinem 13. Geburtstag bekam ich von meinen Eltern ein Tagebuch geschenkt. Ich hatte kurz vorher das „Tagebuch der Anne Frank“ gelesen und wollte unbedingt auch jeden Tag aufschreiben, was ich erlebte und was mich bewegte. Anne Franks Tagebuch ist ja nicht nur ein Bericht über das Leiden eines jüdischen Mädchens, es ist vor allem auch ein Tagebuch des Jungseins und der Suche nach dem eigenen Lebensweg. Ich konnte mich in so vielen Dingen mit ihr identifizieren, wie es auch heute noch Millionen von Jugendlichen auf der ganzen Welt tun.

Die Suche nach dem Leben, das zu einem passt, findet aber nicht nur in der Jugend, sondern in jedem Lebensalter statt, und die Frage „Wer bin ich?“ stellt sich immer wieder neu. „Bei Menschen, die wirklich leben, hört die Pubertät nie auf“, sagte der Schriftsteller Martin Walser in einem Interview.

Haben auch Sie einen Traum, der Sie schon lange durchs Leben begleitet? Eine Phantasie, wie Sie gern Ihr Leben gestalten möchten? Denken auch Sie oft „Wenn ich nur die Zeit hätte, würde ich diese oder jene Geschichte gern aufschreiben“? Haben auch Sie so viel erlebt, dass Sie manchmal denken „daraus könnte man einen Roman machen“?

Vielleicht suchen Sie auch nach einer Möglichkeit, Ihr Leben besser in den Griff zu bekommen, aber eine Psychotherapie scheint Ihnen etwas übertrieben angesichts dieser „normalen“ Lebensprobleme?

Vielleicht läuft Ihr Leben auch einfach in ruhigen Bahnen? Sie schlafen gut, Sie haben alles, was Sie brauchen, und Sie könnten eigentlich zufrieden sein. Und doch fehlt irgendetwas. Was das eigentlich ist, wissen Sie nicht so genau. Sie fühlen sich nicht unglücklich, aber auch nicht wirklich ausgefüllt. Sie suchen nach etwas und wissen nicht genau, wonach. Ihr Leben scheint etwas oberflächlich vor sich hin zu plätschern, und Sie sehnen sich nach mehr Intensität. Wirklich einsam fühlen Sie sich nicht, Sie haben eine Familie, Freunde und Freundinnen, aber Sie wollen die auch nicht dauernd anrufen, wenn Ihnen etwas durch den Kopf geht?

So ging es mir jedenfalls, als ich mit dem Tagebuchschreiben anfing. Ich nannte mein Tagebuch „Daniela“, weil ich damals heimlich in einen Jungen namens Daniel verliebt war. Anscheinend brauchen Mädchen ein anderes Mädchen, dem sie alles erzählen können, und so verwandelte ich meinen heimlichen Liebsten (der von seinem „Glück“ bis heute nichts weiß) in meine vertraute Freundin.

Mein Tagebuch sah ganz ähnlich aus wie das der Anne Frank, es hatte auch einen rot-gemusterten Umschlag, und es hatte ein Schloss. Den Schlüssel trug ich an einer Kette um den Hals. Im ersten Jahr überschrieb ich manchen Eintrag mit „Liebe Daniela“, ähnlich wie Anne Frank „liebe Kitty“ oder wie später Zlata Filipovic in „Ich bin ein Mädchen aus Sarajewo“ in ihrem Tagebuch die Einträge mit „Dear Mimmy“ begann.

Die Verliebtheit in Daniel verflüchtigte sich im Nirwana von Pickeln und Stimmbruch, die den Heiligenschein doch mächtig schrumpfen ließen. Aber Tagebuch schreibe ich bis heute, und wenn ich dem heute dicken glatzköpfigen Daniel jetzt, mehr als 45 Jahre später, gelegentlich über den Weg laufe, grinse ich in mich hinein. Wegen dem hatte ich mal schlaflose Nächte? Aber an das Kribbeln damals, ja, daran erinnere ich mich doch gerne.

Ziemlich am Anfang meiner Tagebuch-Karriere schrieb ich, ich wolle nun alles aufschreiben, damit ich später nicht vergesse, wie man sich als Kind beziehungsweise Jugendliche fühlt. Die Erwachsenen, insbesondere die Lehrer, würden sich alle so verhalten, als wenn sie selbst nie jung gewesen wären.

Nun bin ich mittlerweile würdige 62 Jahre alt, aber wenn ich in meinen Tagebüchern lese, ist  mir wieder sehr vertraut, wie eingeengt man sich fühlt, wenn andere bestimmen, wie man zu leben hat. Wie schrecklich es ist, die Jahre zu zählen, bis man endlich volljährig ist. (Damals dauerte das ja noch 3 endlose Jahre länger als heute!) Wie ungerecht behandelt man sich fühlen kann, wenn Erwachsene meinen, sie würden alles richtig machen, während man selbst mit scharfem Blick wahrnimmt, wo sie selbst ihre Schwächen haben.

Das Buch und der Film „Freedom Writers" zeigten in jüngster Zeit, wie sogar schwierige Jugendliche durch das Schreiben von Tagebüchern über ihr Leben nachdenken und wieder eine Perspektive bekommen. Darin gelingt es einer Lehrerin, mit Hilfe des Tagebuchschreibens Ghetto-Kindern in ihrer Entwicklung so zu unterstützen, dass sie ein erfolgreiches Leben führen konnten.

Ich kann mich mit diesen jungen Leuten gut identifizieren. Ich bin zwar nicht in einem Ghetto aufgewachsen, aber in den fünfziger Jahren in einem kleinen katholischen Dorf, in dem genaue Vorstellungen herrschten, was sich gehörte und was nicht. In der Schule kam ich dann mit anderen Ideen in Berührung und suchte nach einem Weg, die große weite Welt zu entdecken und zu verstehen.

Mehrere Verwandte von Vaters Seite und ein Onkel meiner Mutter waren in die USA ausgewandert. Sie schickten bunte Postkarten, Perlonkleider und Fotos, die uns vorgaukelten, wie toll es dort sei. „Amerika“ war für mich der Inbegriff eines anderen Lebens. So waren denn die Besuche eines „Onkels aus Amerika“ die Höhepunkte gleichförmiger Jahre, in denen ich darauf wartete, die Enge unseres Dorfes verlassen zu können. In mein Tagebuch schrieb ich:

 

"Heute Abend ist Onkel Georg gekommen. Er nennt sich jetzt amerikanisch George und spricht das Dschordsch aus. An seiner Aussprache merkt man überhaupt, dass er schon lange in Amerika gelebt hat. Er hat einen tollen Wagen, ein Mercedes-Sport Cabrio in Schwarz mit roten Sitzen. Beim Abendessen hat er mit Papa über das Thema Rassentrennung diskutiert und ist der Ansicht, dass in den Zeitungen nicht alles so geschrieben ist, wie es der Wirklichkeit entspricht. So zum Beispiel hat er in seiner Zeitung ein Bild gesehen, wie ein Polizist seinen Hund auf einen Neger hetzt. Der Neger hatte ein großes Messer in der Hand und bedrohte damit den Polizisten. In einer anderen Zeitung erschien das Bild auch, aber die erhobene Hand, in der der Neger das Messer hatte, war weggeschnitten. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, einesteils tun mir die Neger leid, andererseits verwirrt mich auch das, was Onkel Georg sagte. Ich glaube, man muss länger mit Negern zusammengelebt haben, um ein Urteil fällen zu können."

 

So kam 1963 die große weite Welt in unser Dorf, und ich staune über die Unbefangenheit, mit der man damals "Neger "sagte. Heute ist das politisch nicht mehr korrekt, und allein an diesem Sprachgebrauch wird schon deutlich, wie viel sich seitdem geändert hat.

Heute sehe ich, dass mir das Tagebuchschreiben ganz großartig half, Wünsche für mein Leben zu formulieren, die ich damals niemandem erzählte. Mal in Amerika leben – für so einen Wunsch wurde man doch ausgelacht! So ein Auto wie Onkel Georg haben – „Jetzt spinnst du aber wirklich!“

 

"Onkel Georg hat mir heute 26 Ansichtskarten geschenkt. Ich habe mich natürlich riesig gefreut, dazu sind es ja auch noch Farbaufnahmen. Wenn ich mir in die Bilder begucke, bekomme ich richtig Fernweh. Hoffentlich komme ich noch mal nach Amerika, ich finde, dass es eines der schönsten Länder der Welt ist. Dann würde ich z. B. an Daniel einen Brief schreiben können, und er würde mich vielleicht interessanter finden.

Ungefähr so: Lieber Daniel, viele Grüße aus Birmingham sendet dir E. Allmählich könntest du auch mal schreiben, du weißt doch meine Adresse. Heute war ich mit meinem Onkel in der Klinik, ich durfte bei einer Operation zusehen. Ich will auch auf jeden Fall Ärztin werden. Wir fahren jedes Wochenende Wasserski, wir wohnen ja direkt am See. In der Schule komme ich auch gut mit. Englisch kann ich jetzt ganz fließend. Jeden Monat haben wir ein Klassenfest mit Tanz. Es wird jedes Mal prima. Wie geht es dir denn auf der Penne? Bist du immer noch der alte Faulpelz, als den ich dich kenne? Jetzt will ich schließen, vergiss das Schreiben nicht, die Tinte wird sonst trocken.“

 

Heute, mit so vielen Jahren Abstand, kann ich nachlesen, wie manche damals geheimen Wünsche, die so unrealistisch schienen, doch in Erfüllung gingen. Ira Progoff, ein amerikanischer Therapeut und Tagebuch-Experte, stellte fest, dass Tagebuchschreiben dabei hilft, den eigenen Lebensplan zu entfalten. Das kann ich nur bestätigen.

 

Leseprobe Teil 2

Die Wegkreuzung

 

Auch dieses ist eine Zukunfts- Übung. Sie kann hilfreich sein, wenn Sie vor einer schwierigen oder wichtigen Entscheidung stehen, beispielsweise, ob Sie sich von Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin trennen sollen oder ob Sie beruflich diese oder jene Entscheidung fällen sollen.

Stellen Sie sich vor, es ist einige Jahre später (den Zeitraum wählen Sie selbst). Beschreiben Sie zunächst Ihr Leben, wie es aussehen wird, wenn Sie heute Entscheidung A fällen. Beschreiben Sie möglichst viele Einzelheiten und vor allem, wie Sie sich fühlen.

Dann nehmen Sie den gleichen Zeitpunkt und beschreiben Ihr künftiges Leben, wenn Sie heute Entscheidung B fällen.

Es ist sehr gut möglich, dass Sie nach einer solchen Übung die Entscheidung klarer fällen können. Im folgenden Beispiel geht es um das Thema Trennung:

 

Entscheidung A:

„Es ist der 15.Februar (in 5 Jahren). Ein grauer kalter Wintertag. Ludwig und ich haben uns vor vier Jahren getrennt. Wir waren beide der Meinung, es hat keinen Sinn mehr. Nein, eigentlich wollte ich die Trennung. Er hat sich bloß nicht gewehrt.

Ich wohne in einer Dreizimmerwohnung, wir haben das Haus verkauft, und ich bin wieder in meinen Heimatort gezogen. Ich dachte, dort würde ich mich am ehesten wieder zu Hause fühlen. Das war ein Fehler, wie ich schon seit einiger Zeit weiß. Die Bekannten von früher haben alle ihre eigene Freunde, die haben nicht auf mich gewartet, und die Frauen haben sowieso alle Schiss um ihre Männer, wenn da eine Geschiedene aufkreuzt. Also werde ich auch gar nicht erst eingeladen, und zu mir kommen auch nicht viele. Ich hätte auch an meiner alten Stelle bleiben sollen. In meinem Alter stellt man sich nicht mehr so leicht um.

Und die große Freiheit, die ich mir erträumte, keiner mehr, der meckert (kein Mann mehr, der seine dreckigen Socken im Schlafzimmer rumliegen lässt, und kein Mann mehr, der pünktlich seine warme Mahlzeit will), so doll ist das auch nicht. Jetzt wäre ich froh, ich könnte manchmal noch für Ludwig kochen. Und mein sexueller Frust damals in der Ehe, darüber kann ich jetzt nur lachen. Alle paar Wochen mal war mir zu wenig. Und jetzt ist es mehr als ein Jahr her, seit ich mit einem Mann geschlafen habe. Was aber das Schlimmste ist: Ich vermisse nicht einfach einen Mann, ich vermisse Ludwig. Ich hätte nie gedacht, dass man sich so an einen Menschen gewöhnen kann, auch wenn er einen oft so genervt hat.

19 Jahre waren doch eine lange Zeit, und jetzt, wo Gabi aus dem Haus ist und Michael mit seinen 18 Jahren auch nur noch zum Schlafen hierher kommt, fühle ich mich sehr einsam und alt. Ich kann gar nicht mehr verstehen, was ich damals an Ludwig immer auszusetzen hatte. Gut, er war nicht mehr der aufregendste Mann, mir zitterten nicht mehr die Knie, wenn ich ihn sah, und er war ziemlich träge. Aber jetzt wäre ich froh, wenn ich abends mit ihm vorm Fernseher hängen könnte und mit ihm in Ruhe alt werden könnte. Nach fast 20 Jahren muss das ja auch nicht mehr die große romantische Liebe sein. Einfach einen haben, der zu einem gehört, ist doch schon sehr viel.

Aber es ist zu spät, Ludwig hat wieder eine Frau. Ob er sie wirklich liebt, weiß ich nicht, sie scheint mir so ein graues Mäuschen zu sein. Aber er ist nun mal ein Familienmensch. Er wäre ja auch nie gegangen, und er wird auch jetzt nicht seine zweite Frau verlassen.“

Nun entwickeln Sie Variante B - Sie sind bei Ihrem Mann geblieben.

„Heute ist der 15. Februar (in fünf Jahren). Es schneit, und ich bin froh, wieder zu Hause zu sein. Die Rückfahrt von der Arbeit war scheußlich. Nachher kommt Ludwig nach Hause. Michael ist schon weg, er kommt heute Nacht nicht nach Hause, irgendeine Faschingsfete. Ist mir auch recht, so können wir uns einen gemütlichen Abend machen.

An so einem Tag wie heute bin ich froh, dass wir damals durchgehalten haben. Es hat sich zwar im Grunde nicht furchtbar viel geändert, aber ich habe besser gelernt, damit zu leben. Wenn ich Ludwig für irgendwas nicht begeistern kann, mache ich es eben alleine oder suche mir andere Leute dafür. Jedenfalls rege ich mich nicht mehr so darüber auf wie früher. Sicher, das war nicht mein Jugendtraum, mal so behäbig zu leben. Aber allmählich merke ich auch, dass ich älter werde und zu vielen Sachen, die mir früher wichtig waren, selbst gar keine Lust mehr habe.

Manchmal bin ich allerdings doch traurig. Nein, nicht richtig traurig, eher wehmütig. Das soll es jetzt gewesen sein? Bald habe ich das Alter für die `Seniorenseite´ in der Zeitung. Mit so wenig soll ich mich zufrieden geben? Na, immerhin kann ich tun und lassen, was ich will, wenigstens das hat Ludwig kapiert aus der Krise. Jetzt meckert er nicht mehr, wenn ich nicht jeden Abend mit ihm vor der Glotze hänge.

Manchmal denke ich, ich bin ein Feigling, dass ich damals nicht konsequent war. Aber ich weiß nicht, ob mein Leben dann wirklich schöner wäre. Manchmal schaue ich Ludwig heimlich an, wenn er auf dem Sofa eingeschlafen ist. Seine dünnen Haare, seine hohe Stirn, seine Falten. Ich bin dann immer ganz gerührt und denke, jetzt haben wir es schon bis hierher geschafft, jetzt werden wir eben alt miteinander.“

Diese Übung kann natürlich auch völlig anders ausfallen. Variante A könnte sein, dass Sie in Ihrer Phantasie Ihr künftiges Leben als Geschiedene genießen und sich gar nichts anderes mehr vorstellen können. Variante B könnte sein, dass Sie todunglücklich sind und es bedauern, nicht den Mut zur Trennung gehabt zu haben.

Eventuell spielen Sie sogar mehrere Varianten durch.

Eine solche Übung ist auch hilfreich bei wichtigen beruflichen Entscheidungen. Sollen Sie in der ungeliebten, aber sicheren und gut bezahlten jetzigen Stelle bleiben oder das Risiko einer völligen Veränderung eingehen, die auch einen Ortswechsel bedeutet? Manchmal mag es sogar vorkommen, dass es mehr als zwei Möglichkeiten gibt. Dann spielen Sie alle Varianten von A bis D oder mehr durch. Irgendwann werden Sie intuitiv wissen, mit welcher Entscheidung Sie am besten leben können. Es kann auch ein Kompromiss dabei herauskommen, der Ihnen im Moment noch gar nicht vorstellbar ist.